MZ: Büchereien sind wie Modeläden

Dipl.-Bibl. Michael Sanetra leitet die Landesfachstelle des Sankt Michaelsbund in München. Foto: Michaelsbund

Bei der Herbsttagung des St.-Michaelsbunds in Regensburg bewertete Diplom Bibliothekar Michael Sanetra die Zukunft dieser „Institutionen“.

Der St.-Michaelsbund lud die Leiter der Büchereien in der Diözese zum Herbstreffen ein, welches unter dem Motto stand „Unsere Bücherei – Raum für Begegnungen“. Am Rande der Tagung unterhielt sich MZ-Reporterin Petra Schmid mit Dipl.-Bibl. Michael Sanetra, Leiter Landesfachstelle des Sankt Michaelsbund in München.

Die Büchereien sollen sich zur „Begegnungsstätte“ wandeln, wie muss man sich dies vorstellen?

„Moderne öffentliche Büchereien sind keine verstaubten Bücherlager mehr, sondern Freizeiteinrichtungen! In vielen kleineren Kommunen sind sie auch der einzig konkret erfahrbare kulturelle Raum, in dem Veranstaltungen für Kinder und Erwachsene stattfinden. In diesen niederschwelligen und vor allem kommerzfreien Kulturzentren können sich dort auch alle Bürgerinnen und Bürger, Arm und Reich, Jung und Alt, Einheimische und Neubürger, Christen und Nichtchristen auf Augenhöhe begegnen! Dafür muss die Bücherei aber mehr Raum anbieten als nur Stellfläche für Regale. Kleinere Kinder brauchen großzügige Bewegungsflächen, Schüler neben den beliebten Sitzsäcken auch Arbeitstische für die weniger geliebten Hausaufgaben, Erwachsene gemütliche Sitzecken zur Lektüre der aktuellen Zeitschriften ebenso wie zum „Ratschen“. Und das alles in entsprechender Aufenthaltsqualität, sprich ansprechender „Optik“!“

Neue Standorte als Anreiz für die Bücherei – Leerstände in Ortszentren, auch gemeinsam mit anderen Vereinen. Was versprechen Sie sich davon?

„Viele Ortszentren veröden, Sparkassenfilialen schließen ebenso wie „Tante-Emma-Läden“, zentral gelegene Geschäftsräume stehen leer, während so manche Bücherei an ihrem alten Standort mit Platzproblemen kämpft. Büchereien sind die meistbesuchten kulturellen Einrichtungen in Bayern, sogenannte „Frequenzbringer“, sorgen für Besucherverkehr! Und warum sollten sich Büchereien freigewordene Geschäftshäuser nicht mit anderen Einrichtungen teilen, etwa mit der Erwachsenenbildung oder mit örtlichen Vereinen. Büchereien sind auch Dienstleister für andere, man muss das reichhaltige Angebote auf der einen Seite nur bekanntmachen und auf der anderen nur nutzen – eigentlich eine Win-Win-Situation! Büchereien im Ortszentrum: mehr Leben in der Bücherei – mehr Leben im Zentrum!“

Wie hält man eine Bücherei modern – ausmisten oder aufbewahren, wie lautet Ihr Rat?

„Wenn der sogenannte. „Umsatz“, also die Entleihungen pro Buch unter 2,0 oder gar noch weit darunter liegt, dann stehen zu viele alte und nicht mehr aktuelle Bücher in den Regalen, dann muss wirklich ausgemistet werden – und zwar gründlich – auch im Sinne der o. a. Aufenthaltsqualität. Zudem kann man in überquellenden Regalen die aktuellen Titel gar nicht finden, es ist dann fast unmöglich, ,die Spreu vom Weizen zu trennen‘. Büchereien sind in diesem Sinn auch nichts anderes etwa Modeläden: Wer nur die Kleider der vorvorletzten Saison auf den Stangen hat und vereinzelte aktuelle Modelle lieblos dazwischen hängt, der kann seinen Laden bald zusperren! Apropos modern oder gar „Online Shopping“: Büchereien, die E-Books anbieten und sich einem „Onleihe-Verbund“ anschließen, haben durchgehend geöffnet, 24 Stunden an sieben Tagen – kundenfreundlicher geht’s nicht!“

Was sind die Randgruppen – was verrät eine Statistik über eine Bücherei?

„Die Statistik selbst verrät zunächst nur die quantitative Nutzung der Bücherei, also im wesentlichen die Entleihungen und die Zahl der Veranstaltungen, wobei es inzwischen immer mehr bibliothekarische Leistungen gibt, die nur schwer messbar sind – simples Beispiel: Wenn eine Bücherei am schul-, aber nicht arbeitsfreien Buß- und Bettag eine Art „literarische Kinderbetreuung“ anbietet und die Eltern spürbar entlastet, schlägt sich das in der Statistik kaum oder gar nicht nieder! Und Randgruppen kennt die Bücherei, die ja allen offensteht, nicht! Noch ein Beispiel: Seit 2015 gibt es auch im ländlichen Raum die sogenannten „Asylotheken“, also Medienbestände für Migranten und ehrenamtliche Helfergruppen, – und sie werden angenommen!“